Erstmals Mädchen aus Schweden und Österreichs offiziell Jamboreeteilnehmerinnen, klare Statements der Südafrikanischen Pfadis gegen die Rassentrennung, viel B.P. Spirit, Bären in den Rocky Mountains, Rodeoreiter, schwebende Indios, rotes Sitzfleisch in gelben Schulbussen, echte Gastfreundschaft.

15. Jamboree 1983 in Kanada
15. Jamboree 1983 in Kanada

Die Fakten

  • Was: 15. Jamboree
  • Wann: 6.–14. Juli 1983
  • Wo: Kananaskis Country, 80 km von Calgary entfernt, in der Provinz Alberta, Kanada
  • Wer: 15.600 Teilnehmer aus 102 Ländern, 296 Teilnehmer*innen aus Österreich.
  • Motto: “The spirit lives on”

Weitere Informationen

Österreichische Besucher

  • Österreich hatte 6 Trupps, darunter zwei Truppführerinnen (Roswitha Gatterbauer aus Salzburg und Trude Kirchner aus Wien). In jedem österreichischen Trupp war eine Mädchenpatrulle.
  • Auch viele Besucher reisten aus Österreich an. Eine Gruppe kam aus der Wiener Kolonne Brownsea. Nach dem Besuch des Jamborees fuhren sie mit Wohnmobilen durch Nordamerika. Dabei entstand die Idee zum später verwirklichten Wiener Kaffeehaus „Kaffee Melange“
  • Weniger gern gesehene Besucher um das Jamboreegelände waren Bären

Wegen der herrschenden Trockenheit waren erstmals auf einem Jamboree die Lagerfeuer auf Trupp-Lagerplätzen verboten. Gekocht wurde aus Umweltschutzgründen auf Benzinkochern.

Martin Mucha, damals Leiter in einem Wiener Trupp, den drei seiner Pfadis (Christian, Dieter und Klaus) aus seiner Gruppe 10 begleiteten, berichtet:

Eröffnung

Die Zelte standen, die Lagerbauten waren errichtet und nun sollte die Eröffnungszeremonie beginnen. Den ganzen Tag über gab es aber bereits Tornado-Warnmeldungen: dieser bewegte sich vom Osten kommend quer über den Kontinent und die Prärie direkt auf das Lagergelände zu. Es war nicht klar, ob die Eröffnung überhaupt stattfinden könne. Dann änderte der Sturm leicht seine Richtung, und in den Unterlagern begannen sich die Trupps zu sammeln. Der Weg zum Festivalgelände war für viele der 16 Subcamps weit. Wieder warten, ob der Tornado die Richtungsänderung beibehält. Endlich machen sich alle geordnet in Richtung Zeremonienstätte auf. Das Wetter scheint zu halten. Am Ziel angekommen durchnäßt aber ein Platzregen alle Teilnehmer völlig. Die Stimmung bleibt trotzdem ausgelassen fröhlich. Die Delegationen ziehen mit ihren Fahnen ein, und jedes Land präsentiert sich. Beeindruckend die Vorstellung der Südafrikaner. Sie geben zuerst ein klares Statement gegen die damals in ihrem Land noch herrschende Apartheid (Trennung von schwarzen – farbigen – und weißen Menschen in allen Lebensbereichen) ab und betonen, dass bei den Südafrikanischen Pfadfindern Menschen jeder Hautfarbe willkommen sind. Das könnte ja auch nur ein Lippenbekenntnis sein, denken wir. Damals gab es Sanktionen und die Parole „Kauft keine Waren aus Südafrika!“.
Doch dann eroberte die südafrikanische Delegation mit einer toll gespielten Löwenjagd, an der schwarze und weiße Pfadis, kostümiert als junge Stammes-Jäger, mit Speeren und Schildern bewaffnet, an einer Löwenjagd teilnahmen, die Herzen der Pfadfindergemeinde. Übrigens: erst 1992 (9 Jahre nach dem Jamboree) stimmten mehr als zwei Drittel der weißen, stimmberechtigten Bürger Südafrikas für ein Ende der Apartheid, die erst 1994 offiziell aufgehoben wurde. Die südafrikanische Wirtschaft, die ein Ende der Sanktionen wollte, und die Pfadfinder waren da Vorreiter.

Aus der Familie Baden-Powell war Robert Crause Baden-Powell (1936–2019), 3. Baron und Enkel unseres Gründers anwesend.

Nachdem wir von der Eröffnung zurückkamen, fanden wir das Subcamp Otter teilweise überschwemmt vor: der Tisch des schweizer Trupps neben uns war zur Insel mutiert, das japanische Lager lag völlig durchnäßt am Boden: aber alle fröhlich und unverzagt.

“Stampede” in Calgary

Das größte Rodeo in Nordamerika findet nicht in den USA, sondern in Calgary, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Alberta, in der Prärie, statt. Dorthin fuhren auch die Jamboreeteilnehmer. Zuerst wurde ein riesiger Rummelplatz besucht, wo der „Kommissar“ von Falco auch auf Deutsch zu hören war, der damals auch die US-Hitparade gestürmt hatte. Danach in das riesige Stadium, wo vom späten Nachmittag bis in die Nacht hinein die Rodeo-Bewerbe gezeigt wurden: Arbeit mit dem Lasso, Reiten auf wilden Stieren und Pferden, Wagen- und Pferderennen – eine atemberaubende Show.

Den Abschluß boten mitten in der Nacht fünf mexikanische Indios, die einen zeremoniellen „Flieger“-Tanz boten: den Danza del Volador oder auch Juego del Volador, der zum UNESCO-Kulturerbe zählt und aus präkolumbianischer Zeit stammt (Volk der Olmeken und Totonaken). Warum „Flieger“-Tanz: Die fünf bewegten sich, durch Seile gesichert, von Scheinwerfern beleuchtet, akrobatisch, tänzerisch als würden sie fliegen, auf einem mindestens 25m hohen Stamm, den sie dauernd umschwebten. Bis dann ein Flötenspieler an der Spitze sitzend die Fruchtbarkeitsgöttin besänftigte.

Action-Programm: Hike mit dem Bären & Rafting

Auf einem zweitägigen Hike wurde ein Berg in den Rocky Mountains erklommen. Geführt wurden wir durch einen amerikanischen Hikemaster, der uns mit seinem Glöckchen am Rucksack zu Beginn sehr nervte. Im Camp angekommen trafen wir einen Förster, der uns erklärte, dass zwei Bären letzte Nacht den Fluss neben den provisorisch aufgestellten Zelten überquert hatten und sicher bald wieder zurückkommen würden. Da lernten wir dann, dass man bei Bären wenig Chancen hat: Bären laufen entgegen landläufiger Meinung schneller als Rennpferde. Die Flucht auf den Baum hilft auch nicht viel: Schwarz- und  Braunbären klettern Dir nach, Grizzleys schütteln dich hinunter. Ok, dann lieber Gebimmel und im Fall des Falles sehr cool bleiben und langsam und bestimmt zurückweichen. Manchmal soll auch totstellen geholfen haben. Noch was: Im Camp selbst muß immer Essen, Essensreste oder schmutziges Geschirr in einem Sack mit einem Seil sehr hoch auf einen Baum hinaufgezogen werden: sonst hast Du Bärengäste zum Dinner, wo Du dann eventuell der 2. Gang bist.

An einem anderen Tag bauten wir aus vier großen Gummireifen und Staffelhölzern mit Kreuzbünden Flöße. Und dann ging es, ausgerüstet mit Schwimmwesten, Helmen und Stechpaddeln ab zum Rafting in den Gebirgsbach. Begleitet wurden wir von sehr flachen Motorbooten, die unsere Wasserangriffe durch leichtes Anheben der Schiffsschraube beantworteten: Das war dann ein eiskalter Sturzbach und wir schon wieder völlig durchnäßt.

Mädchenalarm

1983 waren aus Schweden und Österreichs erstmals Mädchen-Patrullen offiziell Jamboreeteilnehmerinnen und nicht nur Gäste. 1976 hatten sich ja die zwei größten österreichischen Verbände zu den „Pfadfindern und Pfadfinderinnen Österreichs“, PPÖ, vereinigt. In einem Wiener Trupp kamen auf drei Buben- eine Mädchenpatrulle (von der Gruppe 39 in Ober Sankt Veit). Die Mädchen erregten natürlich viel Aufmerksamkeit, und es wurde genau beobachtet, wie das so ist mit der Koedukation. Ein kalifornischer Trupp der BSA, Boy Scouts of America, war so begeistert, dass er beschloss, im Herbst 1983 auch mit Mädchen anzufangen. Die wohl-erzogenen Jungs kamen täglich vorbei, um das Pfadfinderinnen-Wesen genauer zu studieren. Am Österreich-Tag wurde dann Apfelstrudel und (Gras-)Schilanglauf von Amis und Ösis gemeinsam organisiert: Nach dem Uniform-Tausch waren die auch nicht mehr zu unterscheiden. Die Surfer lernten also die Apfelstrudel-Zubereitung, wir, wie man Hamburger richtig grillt (und welche geheimen Zutaten man da von zu Hause mitnehmen muss, damit es wirklich schmeckt). Gesungen und Gitarre gespielt wurde auch sehr viel.

Gastfreundschaft in Abbotsford

Nach der sehr feierlichen Abschlußzeremonie ging es in den berühmten gelben, ungefederten Schulbussen zu den Gastfamilien, die alle auch Pfadfinder-Kinder hatten. Für uns war das eine zweitägige, 800 km Reise über die Rocky Mountains, vorbei an Banff und Lake Louise bis in die Nähe von Vancouver in British Columbia (BC). Die Hauptstadt von British Columbia, Victoria auf der gleichnamigen Insel, mit einem der besten Natur-Museen der Welt und der Zoo in Vancouver wurden besucht. Das beste Lokal in Abbotsford, unserem Standort, hieß Blue Danube und bot mit Wiener Schnitzel fernöstliche, exotische Spezialitäten. Nach einer Woche Gastfreundschaft war dann das Jamboree zu Ende und die meisten flogen zurück nach Österreich.

Manche blieben länger. So auch wir: Mit einem „Luxus-Kombi“ der Firma “Rent-a-Wreck” legten wir 5.000 km zu viert zurück und besuchten dabei erneut das Lagergelände, fuhren 3 Tage mit dem Kanu den Bowron-Lake in BC entlang, fürchteten uns vor Bären und trafen im Yellowstone National-Park auf diese, Bisons und Gesire. Für uns ist Jamboree ein Traum (ohne bleibendes Bären-Trauma).

Martin Mucha